In Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist

von Swen Schönheit

Irgendwie gehört er dazu, aber richtig fassen lässt er sich nicht: der Heilige Geist. Jeder Gottesdienst beginnt „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Menschen werden getauft auf den Namen des dreieinigen Gottes, doch als „Dritter im Bunde“ wirkt er oft wie ein Anhängsel. Wer ist „er“, der keinen eigenen Namen hat? Vor allem: Worin liegt der Mehrwert, wenn es denn so etwas gibt wie „Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist“? Wie wird die Sache mit dem Geist persönlich?

„Geistvergessenheit“ – auch innerhalb der Kirche

Im Jahr 1945, als der deutsche Protestantismus nach der Katastrophe des „Dritten Reiches“ einen Neubeginn suchte, schrieb der Schweizer Theologe Emil Brunner: „Wir sind eine arme Christenheit – trotz unserem Reichtum an Bibel, an Predigten, an Unterricht, an Theologie, an Literatur, an kirchlichen Werken und Organisationen, weil wir arm sind an heiligem Geist. Nicht gänzlich ohne ihn; … aber an den Kräften des heiligen Geistes, wie sie uns im Bild der neutestamentlichen Gemeinde entgegentreten.“ In den 1960er Jahren spricht Wolfgang Trillhaas in seiner Dogmatik von der „Verlegenheit der Kirche angesichts des Pfingstfestes und der Pfingstpredigt“. Das Erbe der evangelischen Theologie sei seit Martin Luthers mit einer „Abwehr des Enthusiasmus … mit einem tiefsitzenden Misstrauen gegen jede Berufung auf den Hl. Geist“ behaftet. Dies führte zu einer Lähmung im Blick auf eine eigenständige Lehre vom Heiligen Geist. „Die Angst vor einer missbräuchlichen Berufung auf den Hl. Geist ist zu einer dogmatischen Angst vor dem Hl. Geist geworden.“ Und in den 1970er Jahren hat der Berliner Theologe Otto Dilschneider den Begriff der „Geistvergessenheit der Theologie“ geprägt und gefragt, ob wir nicht „von Pfingsten her den gesamten theologischen Corpus des ersten und des zweiten Artikels neu zu überdenken“ hätten. Schließlich sei Pfingsten kein Anhängsel der Heilsgeschichte, sondern „gehört mit hinein in den Lebensbericht des Herrn.“

Spirituelle Sehnsucht in unserer Gesellschaft

Inzwischen hat sich nicht nur unsere Gesellschaft gewandelt, sondern auch in Theologenkreisen ist die Sehnsucht nach „mehr Spiritualität“ längst Thema. Um die Jahrtausendwende sprachen deutsche Medien von einer „Rückkehr der Religion“. In unserer Zeit haben die schärfsten Konflikte weltweit einen religiösen Hintergrund. Und in unserer westlichen, von der Aufklärung bestimmten Welt meldet sich zunehmend ein deutliches Defizit an „ganzheitlichen“ Ansätzen und Begegnungen mit dem „Übernatürlichen“. Die Kirchen laufen dieser Entwicklung im Wesentlichen hinterher und werden nur doch dort als relevant erlebt, wo sie Antworten auf die spirituellen Fragen der Zeitgenossen bieten können. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Protestantismus weltweit im Bereich der pfingstlich-charismatischen Bewegung am deutlichsten wächst, und zwar in der nicht-westlichen Welt! Deren Impulse sind auch hierzulande weitgehend kein Tabu mehr und werden vor allem von der jungen Generation mit einer gewissen Selbstverständlichkeit aufgegriffen. Also: Rückkehr zum „Glauben an den Heiligen Geist“?

Der Heilige Geist als Schlüssel zur Gottesbegegnung

Im dritten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisse wird der Geist nur kurz gestreift. Sofort folgen auf das „Ich glaube an …“ die Hauptmerkmale unserer christlichen Existenz: „die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das Ewige Leben.“ Dem Geist wird also der Gemeinschaftsaspekt zugeordnet und die „letzten Dinge“. Grundlage dafür ist das Zeugnis des Neuen Testaments: Erst der Geist Gott ermöglicht das Entstehen von Ekklesia („Versammlung, Gemeinde“) und verbindet Menschen auf dieser Erde zum „Leib Christi“ (1 Kor 12,12-13). Ebenso ist es der Geist, der Christus von den Toten auferweckt hat und auch uns in einen Auferstehungsleib transferieren wird (Röm 8,11.23). Aber wie steht es um unsere Beziehung zu Gott selbst? Welche Rolle spielt der Geist dabei? Und gibt es so etwas wie eine Beziehung zum Heiligen Geist selbst? Ist die Anrufung des Geistes, die sich seit der Alten Kirche in Liedern und Gebeten findet, legitim?

Paulus beendet seinen 2. Korintherbrief mit dem Wunsch: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (13,13). Hier wird dasselbe griechische Wort koinonia verwendet, das auch die „Gemeinschaft“ mit Christus beschreibt, z.B. im Abendmahl (1.Kor 1,9; 10,16). Können wir dem Geist so nahe sein, wie Christus selbst? „Ersetzt“ er gar die leibliche Präsenz Jesu, die ja nur für kurze Zeit seinen Schülern und Freunden vorbehalten war?

Wenn man tiefer in die Abschiedsreden des Johannesevangeliums einsteigt, wird deutlich: Jesus hat vor seiner Kreuzigung tatsächlich von einer Art Stabwechsel gesprochen, vom Übergang in eine neue Ära, in der seine physische Nähe durch „Gegenwart des Geistes“ abgelöst wird: Gleich viermal sagt er seinen verunsicherten Jüngern zu, dass er ihnen einen „anderen Tröster“ schicken werde (Joh 14,16-18.26; 15,26; 16,7.13). Das griechische Wort parakletos bedeutet auch „Beistand, Fürsprecher, Anwalt“. In diesem Zusammenhang meint „anders“ gerade nicht „fremdartig“, sondern „einen weiteren, noch einen …“ Nach seiner Rückkehr in den Himmel nimmt der Heilige Geist den Platz von Jesus ein: in der Mitte seiner Jünger und in jedem einzelnen von ihnen persönlich. Er legt uns die Liebe des himmlischen Vaters ins Herz. Er gibt uns die Gewissheit, Gottes Kinder zu sein (Röm 5,5; 8,14-16). Nur der Geist ermöglicht das Geheimnis des Glaubens, dass Christus in unseren Herzen wohnt (Eph 3,16-17).

Der Heilige Geist als Motor der Kirche

Es gibt sicherlich viele Gründe, dass uns die Sache mit dem Geist oft so abstrakt und blass vorkommt. Dazu gehört unser rationalistisch-naturwissenschaftliches Bildungsideal, das religiöse Erfahrung als subjektiv und nicht überprüfbar abwertet. Dazu zählt auch eine gewisse emotionale Hemmung, von der unsere kirchliche Kultur geprägt ist. Aber auch in der deutschen Sprache führt uns das Wortfeld „Geist“ allzu leicht auf die falsche Spur. Wir denken zunächst an etwas „Geistreiches“, an Intelligenz und Sachen im Kopf. Damit ist die Weiche falsche gestellt: Der Geist wird zum „es“. Der Erwartungshorizont verkommt zum „überall und nirgends“. In der heiligen Schrift ist der Geist jedoch personal, wiewohl er als Kraftfeld erlebt wird (griechisch dynamis).

Das hebräische Alte Testament spricht von der (!) ruach, was Atem, Hauch, Wind, aber auch Geist bedeuten kann. Ohne diese „dritte Dimension“ gäbe es keine Menschen (vgl. 1 Mose 2,7; Ps 104,29-30): Nur weil Gott uns „angehaucht“ hat, wird unser Körper (Materie) zu einer „lebendigen Seele“ (Persönlichkeit). Das Neue Testament spricht vom pneuma, was ebenfalls Wind, aber auch Geist bedeuten kann. Von dieser Doppeldeutigkeit ist die Unterredung zwischen Jesus und dem jüdischen Gelehrten Nikodemus geprägt (Joh 3,3-10). Darin macht Jesus deutlich, dass letztlich nur Gottes Geist ein geistliches und damit unvergängliches, „ewiges“ Leben ermöglicht (3,16). Nach seiner Auferstehung „hauchte“ Jesus seine Jünger an und „sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22). Bevor sie sich aufmachten und als Zeugen das Evangelium „bis an die Grenzen der Erde“ bringen würden, sollten sie „mit der Kraft aus der Höhe erfüllt“ werden (Lk 24,49; Apg 1,8).

So begegnet uns in der Apostelgeschichte des Lukas eine Serie von Schlüsselerfahrungen mit dem Heiligen Geist: Menschen werden mit dem Heiligen Geist „erfüllt“, sie „empfangen“ ihn (Apg 1,8; 2,4; 4,31; 8,15.17; 9,17; 10,47; 19,2); der Heilige Geist „fällt“ auf Menschen, „kommt herab“, er wird „gegeben“ bzw. „ausgegossen“ (Apg 8,16.18; 10,44-45; 11,15; 19,6). Der Pfingsttag war dabei „nur“ eine Art Initialzündung: Die alte Verheißung der Propheten tritt in Kraft, der Geist Gottes wird ausgegossen „über alles Fleisch“ (Apg 2,15-17.33), also ohne Unterschiede des Alters, des Geschlechts oder des Standes auf alle, die sich von Herzen zu Gott bekehren und „ihm gehorchen“ (Apg 5,31-32). Bei der internationalen Mission der frühen Kirche führt der Heilige Geist spürbar die Regie. In einer „natürlich-übernatürlichen“ Weise wird erlebt, wie er „spricht“ und „sendet“ (Apg 8,29; 10,19; 11,12; 13,2-4; 21,11), menschliche Pläne „verwehrt“, wie er „nicht erlaubt“ bzw. ihm etwas „gefällt“ (Apg 15,28; 16,6-7). Die ersten Zeugen haben ihn als den „Freund und Helfer“ zu Seite, von dem Jesus gesprochen hatte.

Persönlich erfüllt werden vom Geist Gottes

Man kann sich schon fragen, ob wir in unseren Kirchen und Gemeinden so viel Betriebsamkeit und oftmals Überforderung erleben, weil wir zu viel aus eigener Kraft tun und die „Kraft aus der Höhe“ verloren haben. Der auferstandene Christus hatte jedenfalls für seine Diener eine echte „Synergie von Himmel und Erde“ vorgesehen: „Und der Herr wirkte mit ihnen (griechisch: synergeo) und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen“ (Mk 16,20).

Gott hat von seiner Verheißung nichts zurückgenommen. Wir dürfen unseren himmlischen Vater wie Kinder bitten, dass er uns mit seinen guten Gaben beschenkt: „Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“, verspricht Jesus (Lk 11,13). Als er sich von Johannes im Jordan taufen ließ, machte dieser einen deutlichen Unterschied zwischen seiner Taufe „mit Wasser“ und einer noch ausstehenden Taufe „mit dem Heiligen Geist (und Feuer)“ (Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,33). Diese Verheißung des „getauft-werdens im Geist“ durchzieht denn auch das Neuen Testament (Apg 1,5; 11,16; 1 Kor 12,13; das Substantiv „Geistestaufe“ kommt so nicht vor). Paulus scheut sich nicht, sogar eine Analogie zwischen dem Weingenuss und der Fülle (und Freude) des Geistes herzustellen: „Berauscht euch nicht mit Wein – das macht zügellos –, sondern lasst euch vom Geist erfüllen! (Eph 5,18) Die griechische Verbform hier macht deutlich, dass es nicht um eine einmalige „Erfüllung“ geht – wir brauchen sie immer wieder. Wir müssen dranbleiben. Wir dürfen vor Gott unseren Durst „nach mehr“ ausdrücken – er wartet darauf: Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“ (Offb 22,17).

Bibelstellen nach der Einheitsübersetzung, Stuttgart (2016)

Dieser Artikel erschien zuerst in: AUFSCHLÜSSE | Ausgabe Juni 2019

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