Konsequent leben – nach dem Beispiel von Jesus

von Swen Schönheit

„Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein; jedes weitere Wort ist vom Bösen“ (Mt 5,37 | NGÜ). Wieder so ein radikaler Satz von Jesus. Krass: So richtig schwarz-weiß! Lässt sich das überhaupt so leben? Können wir womöglich von Jesus lernen, eindeutiger, konsequenter und damit erfolgreicher zu leben?

Mir scheint dieser Satz aus der Bergpredigt hochaktuell. Und das in Zeiten, wo uns die multioptionale Lebensweise zunehmend überfordert. Wo wir bei Umfragen im Internet „Ja“, „Nein“ oder „Wenn es sein muss“ wählen können. Wo wir uns bei Einladungen die Zu- oder Absage bis zuletzt offenhalten. Wo Freizeiten ausfallen müssen, weil sich zu viele innerhalb der Anmeldefrist nicht entscheiden wollten. Wo jungen Leuten die Welt scheinbar offensteht – und sie im Tiefsten doch durch Angst gehindert sind, endgültige Entscheidungen zu treffen. Nein, uns fällt das „Ja“-Sagen unendlich schwer, weil es auf der Rückseite immer zugleich ein „Nein“ bedeutet. „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“, bemerkte Kurt Tucholsky schon vor fast 100 Jahren. Aber zurück zu Jesus: Wie können wir von ihm lernen, konsequenter zu reden und zu leben? Wie vermitteln wir unserer Umgebung mehr Sicherheit durch ein klares „Ja“ oder „Nein“ und kommen dabei selbst mehr zur Ruhe?

In den vergangenen Jahren habe ich mich dies in meiner Rolle als Pastor oft gefragt …, wenn es für sieben Tag in der Woche genug Arbeit gibt …, wenn scheinbar „alle was von mir wollen“: Wie kann ich – dem Beispiel von Jesus folgend – meinen Lebensstil heilsam fokussieren und vielleicht auch reduzieren, um am Ende zu tun, „was wirklich wichtig und gut“ ist – wie Maria es tat (Lk 10,42)? Wie kann ich mich hüten vor Aktivismus und mich nicht von Aufgaben treiben lassen, wie es offenbar Martha tat?

Zweifellos hatte Jesus die wichtigste Aufgabe der Welt vor sich, und dennoch geriet er nicht ins Burnout. Man hat nicht den Eindruck, dass er gestresst oder getrieben war, vielmehr war er vom Vater geleitet. Können wir dies von ihm übernehmen? Mir scheint: Jesus war auf seine Weise radikal, weil er konsequent lebte (von lat. consequens: „folgerichtig“). Dazu drei Beobachtungen:

1. Konsequent den Menschen zugewandt

Jesus war das Gegenbild zum selbstverliebten, auf eigenen Vorteil bedachten Typ Mensch, den unsere Zeit gerade wieder hervorbringt. „Ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um zu tun, was ich selber will, sondern um den Willen dessen zu erfüllen, der mich gesandt hat.“ Jesus konnte sogar sagen, dass es für ihn „Nahrung“ bedeutete, den Willen seines himmlischen Vaters zu erfüllen (Joh 6,38; 4,34). Er wurde regelrecht satt am Gehorsam Gott gegenüber, nicht durch den Beifall der Menschen. Und doch wandte sich Jesus konsequent einer Welt zu, die Gott „so sehr geliebt hat …“ (Joh 3,16). Auf diesem Weg der Hinwendung zu den Menschen konnte Jesus ziemlich überraschend vorgehen, selbst für seine Jünger:

  • Er nahm sich Zeit für ein Blinden am Wegrand, während seine Umgebung ihn zum Schweigen bringen wollte (Lk 18,43).
  • Er rief Zöllner in seine Nachfolge, vergab ihnen und erklärte sie zum „Kind Abrahams“ (Lk 5,27-32; 19,1-10). Damit setzte sich Jesus massiven Vorwürfen der (Selbst-)Gerechten aus (Lk 15,1-2).
  • Er heilte eine Frau, die an einer chronischen Unterleibserkrankung litt, sprach sie als „meine Tochter“ an und stellte ihre Würde wieder her (Lk 8,43-48).
  • Er ließ sich bei einer Mahlzeit die Füße von einer Frau salben, die in ihrer Stadt als „Sünderin“ galt und sprach ihr Vergebung und Frieden zu (Lk 7,36-39.44-50).

Es ist erstaunlich, wie treffsicher Jesus in vielen Einzelbegegnungen Menschen erreichte und ihnen oft völlig anders begegnete, als seine Umgebung dies erwartet hätte: verständnisvoll, barmherzig, heilsam, manchmal auch klar, korrigierend, entwaffnend. Dabei wurde jede einzelne Begegnung exemplarisch für das anbrechende Reich Gottes, ein Vorgeschmack auf „den neuen Himmel und die neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt“ (2.Pt 3,13). Zugleich waren es oft Einzelne, die zu Multiplikatoren für ihr jeweiliges Umfeld wurden und einen genialen Streueffekt für das Evangelium auslösten (vgl. Lk 7,15-17; 8,38-39; Joh 4,27-30). Aber heißt das, dass Jesus immer „für alle da war“, sozusagen ein universaler Menschenfreund?

2. Konsequent im Nein-Sagen

Ebenso überraschend zeigt eine Durchsicht des Neuen Testaments, wie konsequent sich Jesus auch abgrenzen konnte. Er ging nicht durch jede offene Tür, ergriff nicht jede sich bietende Gelegenheit und wies auch manchen gut gemeinten Vorschlag seiner Mitstreiter zurück. Woher kam diese Fähigkeit zur Abgrenzung – bei gleichzeitiger Zugewandtheit?

  • „Sie haben keinen Wein mehr!“ Mit diesem Hinweis will die Mutter ihren Sohn Jesus zum vorzeiten Verlassen einer Hochzeitsfeier auffordern. Doch Jesus bleibt – und verwandelt rund 600 Liter Wasser in besten Wein (Joh 2,1.10)!
  • „Wenn du dich so versteckst, wirst du nie bekannt werden! Falls du wirklich so wunderbare Dinge tun kannst, dann beweise es vor aller Welt!“, wird Jesus von seinen Brüdern gedrängt, die Bühne beim Laubhüttenfest in Jerusalem zu suchen. Jesus reagiert unbeeindruckt – und kommt später nach. Am Ende sprengt seine Rede vom „lebendigen Wasser“ das gesamte Fest (Joh 7,1-6.37-39)!
  • „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben!“, bekommt Jesus von Martha zu hören, die vier Tage zuvor ihren Bruder Lazarus zu Grabe tragen musste (Joh 11,17-21). Selbst die Jünger sind irritiert über die „Zeiteinteilung“ ihres Lehrers, der auf die Nachricht von der Krankheit seines Freundes scheinbar nicht reagiert – um ihn am Ende vom Tod aufzuerwecken (Joh 11,1-8.33-45)!
  • „Meister, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teilen soll!“ Jesus geht auf diesen Hilferuf aus der Menge zunächst nicht ein: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über euch gesetzt?“ Doch dann nutzt er die Gelegenheit und spricht zum Volk über das rechte Verhältnis zu Geld und Besitz (Lk 12,12-34)!
  • „Alle suchen dich“, begrüßt Petrus seinen Lehrer am frühen Morgen, nachdem er einige Zeit nach ihm suchen musste. Doch Jesus blickt über den Moment hinaus: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen“ (Mk 1,36-38). Nach einem überaus erfolgreichen Tag stehen alle Türen offen, die Menschen sind beglückt und begeistert. Dennoch bleibt Jesus nicht, weil er eine längerfristige Strategie verfolgt!

Woher nahm Jesus die innere Unabhängigkeit, sich sogar von Familie, Freunden und seinen engsten Mitarbeitern abgrenzen zu können? Die Antwort finden wir im vorangehenden Vers: „Am nächsten Morgen stand Jesus vor Tagesanbruch auf und zog sich an eine einsam gelegene Stelle zurück, um dort allein zu beten“ (Mk 1,35). Seinen Kompass richtete Jesus in den verborgenen Zeiten mit Gott jeweils neu aus.

3. Konsequent im Hören auf Gott

Vor allem Lukas zeigt uns Jesus als Beter, nicht nur als Lehrer, Wundertäter, Anwalt der Armen. Diese verborgene Kraftzufuhr bildete das Geheimnis seines Dienstes:

  • Jesus betete bei seiner Taufe (Lk 3,21-22)
  • „Er zog sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten“ (Lk 5,16).
  • „Er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott“ – bevor er die zwölf Jünger berief (Lk 6,12)
  • Er war auf Berg einem im Gebet und wurde vor den Augen seiner Jünger verwandelt (Lk 9,28-29).
  • Er lehrte seine Jünger zu beten und schenkte ihnen das „Vaterunser“ (Lk 11,1-4).
  • Er ermutigte, ihm Gebet dranzubleiben und „nicht nachlässig zu werden“ (Lk 18,1-8).
  • Er durchlebte vor seinem Leiden einen intensiven Gebetskampf und rief zugleich seine Jünger auf zu wachen und zu beten (Lk 22,39-46).

Bemerkenswert ist die Situation nach der faszinierenden „Speisung der 5000“: Jesus drängt seine Jünger, den Ort zu verlassen und ans gegenüber liegende Seeufer vorauszufahren, um selbst die nötige Ruhe im Gebet zu finden. „Spät am Abend war er immer noch dort, ganz allein“ – und bleibt bis in die Morgenstunden. Jesus dürfte dabei nicht entgangen sein, wie das Wetter umschlug und seine Freunde in ernsthafte Schwierigkeiten auf dem See gerieten. Doch er bleibt in der Gegenwart des Vaters, ohne sich treiben zu lassen oder mit schlechtem Gewissen zu reagieren (Mt 14,22-33). Wenn man das Kapitel weiterließ, gewinnt man den Eindruck, dass Jesus aus dieser durchwachten und durchbeteten Nacht mit noch größerer Vollmacht hervorging (Mk 14,34-36)!

Was bedeutet das für uns?

Wir brauchen „eine Disziplin der Stille“, wie Jesus sie lebte. Diese „wird dafür sorgen, dass wir das höhere Ziel nicht aus den Augen verlieren. Sie wird uns an unsere ursprüngliche Inspiration erinnern, an unsere erste Liebe, und wird uns helfen, unsere Angst zu überwinden und echte Bestätigung zu finden“, formuliert Bischof Stephen Cottrell. Jesus bleibt als unser großer Bruder auch für die Balance von „Beten und Arbeiten“ das entscheidende Vorbild:

  • Er lebte in einer letzten Abhängigkeit von Gott: „Der Sohn kann nichts aus von sich selbst aus tun; er tut nur, was er den Vater tun sieht. Was immer der Vater tut, das tut auch der Sohn“ (Joh 5,19). Er hörte, er sah, er handelte schließlich in Analogie zu dem, was sein himmlischer Vater ihm gezeigt hatte. Darum war Jesus so treffsicher und – im Rahmen seiner Sendung – so erfolgreich!
  • Er liebte die Menschen, aber er ließ sich niemals von ihnen verleiten: „Jesus blieb ihnen gegenüber zurückhaltend, denn er kannte sie alle. Er wusste genau, wie es im Innersten des Menschen aussieht; niemand brauchte ihm darüber etwas zu sagen“ (Joh 24,25). Jesus lebte eine perfekte Balance von Nähe und Distanz: Er diente den Menschen, wurde aber niemals abhängig von ihnen!
  • Er lebte zielgerichtet und entschlossen (vgl. Lk 9,51,-52; 13,32-33). Selbst im Leiden blieb er der Handelnde und bestimmte – gegen alles Kalkül seiner Gegner – die Zeitpunkte. So konnte er noch vor der Kreuzigung sein Lebenswerk in Gottes Hände zurücklegen und sagen: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden“ (Joh 17,4). Ein größeres Ziel kann es auch für uns nicht geben!

Dieser Artikel erschien zuerst in: Geistesgegenwärtig 3/2018 (Richtig Radikal)

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