Jesus: Trost für Israel und eine trostlose Welt

von Swen Schönheit

„Und da war in Jerusalem einer mit Namen Simeon, und dieser Mann war gerecht und gottesfürchtig; er wartete auf den Trost Israels, und Heiliger Geist ruhte auf ihm“ (Lukas 2,25-26).

Lukas hat uns die ausführlichste Version der Weihnachtsgeschichte überliefert. Auffallend ist daran, wie häufig in den ersten beiden Kapiteln seines Evangeliums der Heilige Geist erwähnt wird (achtmal). Wer vom Kirchenjahr geprägt ist, findet dies möglicherweise irritierend: Ist der Heilige Geist nicht beim Pfingstfest verortet? Wieso ist seine Präsenz ausgerechnet im Zusammenhang mit der Geburt von Johannes und Jesu so stark?

Lasst uns das prophetische Wort betrachten, das Simeon über dem wenige Tage alten Jesus ausspricht. Was mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist, sieht der vermutlich schon betagte Simeon im Geist: „Nun lässt du deinen Diener gehen, Herr, in Frieden, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor den Augen aller Völker bereitet hast, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zur Verherrlichung deines Volkes Israel“ (Lukas 2,29-32). Im Hebräischen hat das Wort „Heil“ den gleichen Klang wie der Name Jesus: Jeshua! Hier finden wir gleich zu Beginn des Evangeliums in einer Kurzformel ausgedrückt, welche Sendung auf dem Leben des Messias lag:

Für Israel und die Völkerwelt

Was bedeutet es, dass Jesus als Christus (Messias) zum „Trost Israels“ wird? Was bedeutet es einerseits für das Volk des ersten Bundes und andererseits für die Völkerwelt? Simeon sieht mit einem Blick, dass ein doppelter Auftrag auf dem Leben Jesu lag: Er soll Israel zu seinem Gott zurückbringen. Er soll aber auch „Licht“ zu den Völkern bringen und ihnen die Augen öffnen für den wahren Gott. Paulus hatte beide Aspekte in seinem apostolischen Dienst vor Augen: Das Evangelium gilt „Juden und Heiden“ (Apostelgeschichte 13,46-48; 28,28). Damit folgte er dem Sendungsbefehl Jesu: „Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern“ (Matthäus 28,19).

Gottes „Trost“ ist seine Zuwendung

Simeon trug offenbar die vielen Verheißungen im Herzen, die besonders bei Jesaja hinterlegt sind: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ (Jesaja 40,1; 49,13; 52,9). Gott zeigt sich Israel nach seiner nationalen Katastrophe als Tröster, als Garant für einen Neuanfang (Jesaja 51,12). Wenn Gott tröstet, dann vergibt er. Er betreibt die Wiederherstellung seines Volkes. Er hält Israel die Treue, den Nachkommen „meines Freundes Abraham“ (Jesaja 41,8).

Zugleich hat der Gott Israels immer die Völkerwelt im Blick. Seine Verheißung an Abraham galt bereits einem Segen für „alle Sippen der Erde“ (1 Mose 12,3; vgl. Galater 3,29). Beim Propheten Jesaja wird 2

deutlich: Israel ist berufen, „zum Licht für die Nationen“ zu werden (Jesaja 49,6; 42,6). Dies gelingt jedoch nur, wenn es mit seinem Gott lebt, wenn es sich letztlich öffnet für den „Diener Gottes“, seinen Messias (Jesaja 49,1-4). Durch ihn wird Israel seine volle Wiederherstellung erleben.

Jesus ist Gottes „Heil“ in Person

Wir dürfen als weltweite Gemeinde aus vielen Nationen nie vergessen: Die Verheißung ist Israel zuerst gegeben: „Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN ist aufgestrahlt über dir, … und Nationen werden zu deinem Licht gehen“ (Jesaja 60,1-3.13). Das große Geheimnis, das in die Geschichte Israels eingebaut ist, ist der Name Jesus. Auf hebräisch Jeschua, bedeutet er „Hilfe, Heil, Rettung“ (vgl. Jesaja 12,3; 25,9; 26,1; 60,18). Simeon hat dieses „Heil gesehen, das du vor den Augen aller Völker bereitet hast“. Durch den neugeborenen, gekreuzigten und auferstandenen Jesus kommt Trost zu Israel und zugleich Heilung zu den Völkern.

Deshalb begegnet uns ein so intensives Wirken des Geistes rund um die Geburtsgeschichte: In Jesus kommt der Heiland, Gottes „Heil“ zur Welt. Das ist nicht nur ein guter Grund, Weihnachten und Pfingsten zu feiern, es ist die wahre Hoffnung für die Welt! Jürgen Moltmann, emeritierter Theologieprofessor, bemerkte einmal treffend in einem Aufsatz (2019): „Wer hat je Pfingstpredigten zu Weihnachten oder Ostern gehört? Pfingsten ist für mich das größte Fest der Christenheit: Die neue Schöpfung hat schon begonnen und wir sind dabei.“

Gott stellt sein Volk wieder her

Wir leben in einer bewegenden, historisch bedeutsamen Zeit: Gott stellt sein Volk wieder her: sein Volk Israel und die weltweite Gemeinde Jesu parallel. Dahinter steht die Vision der Jahrhunderte alte Propheten. Simeon hat sie in einem Satz zusammengefasst. Paulus war davon überzeugt, dass „Juden und Heiden“ im Messias Jesus zusammenfinden: „Er ist unser Friede, er hat aus den beiden eins gemacht, … um die beiden in seiner Person zu einem einzigen, neuen Menschen zu erschaffen“ (Epheser 2,13-18).

Bibelstellen nach: Zürcher Bibel (2007)

Dieser Artikel erschien zuerst in: Geistesgegenwärtig 3/2023