Gemeindeaufbau als Gemeindeumbau

Transformation des Pfarramtes

von Swen Schönheit

A. Problemanzeige

  • Die Frage nach einer nachhaltigen Gemeindeentwicklung geht derzeit unter in allgemeinen Bemühungen um Strukturreformen. Eine „Erneuerung an Haupt und Gliedern“ ist kaum in Sicht.
  • Der theologische Nachwuchs wird in eine unklare Rolle als Pfarrer/innen hinein ordiniert. Berufsanfänger/innen gehen ins Amt mit …
    • der Sorge vor Überlastung (größerer werdende pastorale Räume sind zu versorgen)
    • dem Bedürfnis nach rechtzeitiger Abgrenzung (das traditionelle Pfarrhaus stirbt aus)
    • der Versuchung, sich „ins Amt zu flüchten“ (restaurative Tendenzen)
  • Die Reformation hat uns ein diffuses Amtsverständnis hinterlassen. Die Idee vom „Priestertum aller Getauften“ blieb weitgehend Theorie (vgl. WA 6, 407; 41, 209). Diese Hypothek trifft uns heute massiv – wobei das Zeitfenster für Veränderungen sich schließt!
  • Rudolf Bohren, Dem Worte folgen (1969), S. 155-156
  • „Wir haben die Gaben weithin eingesargt ins Pfarramt. Weithin ist der Pfarrer allein König, Priester, Prophet und Lehrer. Alle dienen dann dem einen, und einer dient allen. Damit aber bleibt die Gemeinde unmündig und der Pfarrer überlastet. Damit unterbleibt der Dienst an der Welt. Wir müssen also erkennen, dass das Pfarramt in seiner heutigen Gestalt einer nach Gottes Wort reformierten Gemeinde nicht mehr entspricht, dass das Gegenüber von Pfarrer und Gemeinde fatal unbiblisch geworden ist.“
  • „Der protestantische Pfarrer ist eine merkwürdige Zwitterfigur …“ (Manfred Josuttis, 1983). Der Pastor / die Pastorin als „eierlegende Wollmilchsau“ (Eduard Steinwand).

B. Schlüsselerkenntnisse

1. Veränderungen – sie müssen „von vorne“ beginnen

  • Fritz und Christian A. Schwarz, Theologie des Gemeindeaufbaus (1984), S. 250
  • Pfarrer müssen „zielbewusst daran arbeiten, dass eine mündige Gemeinde entsteht. Nach Jahrhunderten der Pfarrervorherrschaft muss er der Motor für eine Bewegung in eine andere Richtung sein.“
  • Klaus Douglass, Die neue Reformation (2001), S. 137-139
  • „Die Auflösung der Pfarrerzentrierung muss von den … Pfarrern selbst ausgehen.“
  • Peter Böhlemann / Michael Herbst, Geistlich leiten – Ein Handbuch, Göttingen (2011), S. 53-54
  • „Wir haben in der Theologie den Fehler gemacht, fast alle im Neuen Testament genannten Charismen strukturell im Pfarramt zu verankern.“ Dem gegenüber gilt: „Die Amtsträger sollen die Christen ‚zurüsten‘; aber sie sollen nicht selbst alle Funktionen in der Kirche wahrnehmen.“

2. Kraft zur Veränderung – sie kommt von oben

  • Der Gemeinde langfristig Vision vermitteln (biblisch begründete Ekklesiologie entdecken)
  • Gemeinde mit der „Missio Dei“ vertraut machen (bewegt statt bewahrend) – Gemeinde als Selbstzweck überwinden (das „größere Bild“ entwickeln)
  • Geistlich Verantwortliche müssen zuerst für ihr eigenes geistliche Leben sorgen: Stille, Studium, Gebet, Zeit für Visionsentwicklung (Stephan Covey: „Die Säge schärfen“).

3. Zielvorstellung: Vervielfältigung statt Versorgung

  • Biblischer Gedanke „Frucht bringen, die bleibt“ – ein Nachhaltigkeitsprinzip (Joh 15,5.16).
  • Frucht ist eine Folge von Reife: „mündige Christen“ bewirken Gemeindeaufbau (Eph 4,12-16).
  • Michael Herbst, Und sie dreht sich doch (2001), S. 50
  • „Das wiederum bedeutet, dass Pastoren lernen müssen, gabenorientierte Mitarbeiterschaft zu fördern“ (mit Hinweis auf „das kybernetisches Prinzip von Epheser 4“).
  • Klaus Eickhoff, Gemeinde entwickeln für die Volkskirche der Zukunft (1992), S. 254
  • Die Versorgungsmentalität fördert einen Zustand „geistlicher Unmündigkeit. … Wenige dienen, aber viele lassen sich be-dienen.“ Demgegenüber gilt: Ein Pfarrer „soll die Begabten nicht versorgen, er soll sie ausbilden.“ Er „kann sich nicht zerreißen; er kann sich jedoch vervielfältigen“, indem er die Aufgabe „eines Hirten und Ausbilders“ wahrnimmt.
  • Christian Schwarz, Die natürliche Gemeindeentwicklung (1996), S. 22, 28
  • „Leiter wachsender Gemeinden konzentrieren ihre Arbeit darauf, andere Christen zum Dienst zu befähigen. Sie gebrauchen ehrenamtliche Mitarbeiter nicht als ‚Helfer’, um ihre eigenen Ziele und Visionen umzusetzen.“

4. Strategisch denken lernen: zuerst bei Jesus

  • Jesus hat weniger auf „Masse“ als vielmehr auf „Klasse“ gesetzt. Er setzte eine weltweite „Jesus-Bewegung“ in Gang, die ihren Ausgangpunkt bei einer Kleingruppe nahm: Er wählte sie aus – bildete sie aus – sandte sie aus (Mk 3,13-15; 6,7; 9,35; 10,42-44; 16,15-20).
  • Nikolaus Schneider, Berufen – wozu? (2011), S. 99, 101
  • „Jesus selbst hat nach dreijähriger ‚Ausbildungszeit‘ seine Jünger verlassen. … Der Missionsleiter delegiert seine Mission an seine Schüler und begibt sich in die Hintergrundregie.“
  • Dieses Vorbild sollte auch für das kirchliche (Pfarr-)Amt gelten: „Der geistliche Dienst verbindet Menschen mit Christus und nicht mit sich selbst.“

5. Subtile Fragen klären: Macht und Anerkennung

  • Was stabilisiert meine Person? Woraus beziehe ich meinen Wert und meine Bestätigung?
  • Zum Mentor werden statt „ewiger Macher“ zu sein … Der Weg zu größerer Erfüllung (Joh 14,12)!

C. Schritte der Umsetzung

  • Langfristig und beharrlich „Gemeinde biblisch“ thematisieren
  • Gemeinsam an einem Leitbild arbeiten – inkl. Transformation des Pfarramtes
  • In allen Bereichen von Versorgung auf Vervielfältigung umschalten (Mitarbeitenden-Kultur)
  • Ehrlich über Gewohnheiten, Ansprüche, Bedenken, Möglichkeiten sprechen (emotional begleiten)