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Der Heilige Geist: nur noch ein Add-on?

Warum es der Heilige Geist in Deutschland so schwer hat

von Swen Schönheit

Pfingsten ist vorbei, und nun geht es Richtung Sommer. War’s das mit dem Heiligen Geist? Bis wir ihn nach einem Jahr wieder „hervorholen“ und ihm, dem Kirchenjahr entsprechend, seine Nische zuweisen? „O, komm, du Geist der Wahrheit“, haben viele in den Gottesdiensten mitgesungen. Kaum jemand scheint darüber zu stolpern, dass in einem Dutzend Kirchenlieder unseres Gesangbuchs der Heilige Geist direkt angesprochen wird. Kann man mit ihm reden, ihn bitten? Lässt er sich einladen? Und woran merkt man, dass er wirkt?

Theologen der letzten Jahrzehnte haben von der „Geistvergessenheit“ der Kirche gesprochen. Er scheint auch in den meisten Gemeinden ein Stiefkind zu sein: gehört irgendwie dazu, wird aber nicht beachtet. Der Heilige Geist hat seine Nische zu Pfingsten. Doch „man weiß eigentlich so wenig über ihn“, höre ich immer wieder von Gemeindegliedern. Leidet Kirche und Gemeinde im Tiefsten an „Geist-Mangel“? Haben wir uns mit einem allgemeinen Bildungsnotstand im Blick auf das Pfingstgeschehen abgefunden?

Der Heilige Geist scheint es besonders in Deutschland schwer zu haben. Zumindest in der westlichen Welt. Bestätigt wird dies durch eine Studie der EKD, die kürzlich erschien: „Vom Blickpunkt des globalen Südens aus boomt das Christentum und ist faktisch die sich am schnellsten ausbreitende Religion der Welt“, heißt es in der Orientierungshilfe „Pfingstbewegung und Charismatisierung“ (2021). „Christlich zu sein bedeutet in diesen Kontexten häufig die Zugehörigkeit zu einer Pfingstkirche oder einer evangelikalen bzw. charismatischen Kirche.“ So würden derzeit „etwa ein Viertel der Weltchristenheit einer Pfingstkirche oder einer charismatischen Erneuerungsbewegung“ angehören. In Deutschland jedoch wird das Thema „Heiliger Geist“ immer noch mit spitzen Fingern angefasst. Oder die Rede von ihm wird derartig verwässert, dass Gottes Geist quasi im Menschen aufgeht: „Pfingsten erinnert uns daran, dass wir uns begeistern lassen können“ (Andere Zeiten). Ist das alles, was sich über den „dritten Glaubensartikel“ sagen lässt?

Warum hat es der Heilige Geist nur so schwer in Deutschland? Ich sehe dafür wenigstens vier Gründe:

1.      Das Erbe der Aufklärung

Die Aufklärung mit ihrem humanistischen Bildungsideal hat die menschliche Vernunft zum Maß aller Dinge erhoben. Damit vollzog sich auch ein Bedeutungswandel im Blick auf den „Geist“: er wird nun mit Bildung und menschlichem Verstand gleichgesetzt („geistreich“). Das Wirken des Geistes reduziert sich auf eine Idee von Gott oder es bleibt subjektive Gefühlssache. Mit der Aufklärung kam es „zu einer folgenschweren Säkularisierung des Geistes“ (Walter Kasper). Bis heute spielt der Heilige Geist keine wesentliche Rolle bei Fragen nach der Zukunft der Kirche in unserem Land.

2.      Martin Luther und die „Schwärmer“

Die Reformation im 16. Jahrhundert bestand aus vielfältigen und auch widersprüchlichen Bewegungen. Neben Martin Luther und den namhaften Reformatoren gab es sowohl politische Bewegungen, die soziale Gerechtigkeit einforderten, als auch „Geistbewegungen“, die wir heute als charismatischen Aufbruch bezeichnen würden. Luther grenzte sich teilweise zu Recht gegen „Rotten und Schwärmer“ ab. Zugleich überwarf er sich aber mit anderen Zeitgenossen, wie dem Reformator Kaspar von Schwenckfeld, der die Bedeutung der Geistesgaben für die Erneuerung der Kirche betonte. Luthers „Abwehr des Enthusiasmus“ führte in der evangelischen Kirche langfristig zu einer geradezu „dogmatischen Angst vor dem Heiligen Geist“, so der Theologe Wolfgang Trillhaas.

3.      Die „Berliner Erklärung“

Mit dem Aufbruch der Pfingstbewegung auch in Deutschland verbanden sich große Hoffnung auf eine Neubelebung der Christenheit. Nachdem eine Veranstaltungsreihe in Kassel im Sommer 1907 entgleiste, verabschiedeten fast 60 Verantwortliche aus Kreisen der Evangelischen Allianz 1909 eine „Berliner Erklärung“. Darin heißt es: „Die sogenannte Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten … Es wirken in ihr Dämonen, welche, vom Satan mit List geleitet, Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen.“ Dieses kompromisslose Urteil über die junge und noch unausgereifte Pfingstbewegung wurde maßgeblich unter den „Frommen“. Die Angst vor Ansteckung durch den sogenannten „Schwarmgeist“ führte zu einer nachhaltigen Skepsis gegenüber den Gaben des Geistes.

4.      Das „Dritte Reich“ als pervertierte Erweckung

Adolf Hitler adaptierte einiges an Sprache und Ausdrucksformen aus der jüdisch-christlichen Tradition, um seine Bewegung religiös aufzuladen. Deutschland erlebte im Nationalsozialismus eine Art Erweckung („Deutschland, erwache!“), die jedoch aus dämonischen Quellen inspiriert war. Hitlers Führerkult war ein verführerischer Pseudo-Messianismus. Hingabe und Opfer, Leidenschaft und Begeisterung, all dies steht seitdem unter Generalverdacht. Dem „Dritten Reich“ folgten Ernüchterung, Erschöpfungsdepression und nationaler Selbstzweifel. Enthusiasmus bleibt in unserem Land verdächtig. Im Fußballstadium empfinden wir Jubel und Gesang oder erhobene Hände beim Rockkonzert als „normal“. Im religiösen Kontext werden solche Äußerungen jedoch immer noch kritisch betrachtet.

Wir brauchen neue Begeisterung durch den Geist!

Der Heilige Geist und echte Begeisterung? In Deutschland immer noch ein schwieriges Feld! Die Skepsis bleibt – trotz jährlich wiederkehrendem Pfingstfest. „Sie aber lehnten sich auf und beleidigten immer wieder seinen Heiligen Geist“ (Jesaja 63,10). Ob der Himmel auch so über Deutschland seufzt? Es wird Zeit, den Heiligen Geist neu in unserem Land einzuladen. „Komm, Geist Gottes, und zerbrich alle Mauern, die deinem Wirken unter uns im Wege stehen!“ Möchtest du das zu deinem Gebet machen? Nicht umsonst legt Paulus den damaligen Gemeinden ans Herz:

„Tut nichts, was den Heiligen Geist traurig macht!“ (Epheser 4,30)

„Lasst das Feuer des Heiligen Geistes in euch immer stärker werden!“ (Römer 12,11)

Swen Schönheit | Juni 2022

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