NEWSLETTER | November 2022
Ungeliebter Bußtag?
Wenn Kirche die Umkehr verweigert, verliert sie ihre Zukunft
von Swen Schönheit
„Kehrt um zu mir, dann kehre ich mich euch zu, spricht der HERR der Heerscharen“ (Maleachi 3,7).
Da steht er wieder mal im Kalender: der Buß- und Bettag. Bis 1995 war er bundesweit ein gesetzlicher Feiertag, seitdem gilt dies nur noch in Sachsen. In der Geschichte gab es immer wieder Buß- und Bettage, oft spontan angesetzt angesichts von Notlagen und Gefahren. So wurde die ganze Bevölkerung zu Umkehr und Gebet aufgerufen. In Preußen wurde der Buß- und Bettag 1893 per Gesetz als Feiertag vor dem Ewigkeitssonntag festgelegt. Heute braucht unser Land ihn offensichtlich nicht mehr. Wir haben mit diesem zusätzlichen Arbeitstag die Pflegeversicherung finanziert. Nur noch bei die Kirche gehört er in den Kalender: Wir laden Schulklassen in unsere Kirchen ein und wir halten Andachten.
Ist unserer Kirche die Buße verloren gegangen?
Keine Frage, das Stichwort „Buße“ löst kaum Vorfreude aus. Es suggeriert „büßen“, erinnert an „Bußgeld“ und hat im Deutschen ein schlechten Klang. Vielleicht sollten wir uns spätestens jetzt von Luthers Sprache lösen und im Sinne des biblischen Grundtextes von „Umkehr“ reden. Sämtliche Propheten des Alten Testaments riefen Israel zur Umkehr. Im Buch Jona lesen wir, wie sogar Ninive, eine heidnische Stadt, auf den Ruf zur Umkehr reagierte und einen „Bußtag“ ansetzte (Jona 3). „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe,“ war die Botschaft von Johannes dem Täufer. Jesus hat diesen Aufruf direkt übernommen (Matthäus 3,1-2; 4,17). Und die Bibel endet im Buch der Offenbarung mit einer Aufforderung an vier von sieben Gemeinden: „Kehre um!“ (Offenbarung 2-3). Brauchen wir das heute nicht mehr? Haben wir in unserer Kirche überhaupt noch ein Ohr dafür?
Der erste Impuls zur Reformation
Als der junge Mönch Martin Luther am 31. Oktober 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen verbreitete, löste das eine unerwartete Kettenreaktion aus. Er beginnt mit einer Erinnerung an das Jesuswort „tut Buße“ in Matthäus 4. Damit aber habe „unser Herr und Meister … gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“ Luther wendet sich gegen ein kirchliches Ritual von „Buße als Sakrament – d.h. von der Beichte und Genugtuung –, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird“, durch Ablassbriefe sogar erkauft werden kann. Demgegenüber geht es Luther um „eine innere Buße“, eine „wahre Herzensbuße“ (1.-4. These).
Luther führte zum biblischen Verständnis von Buße und Umkehr zurück, die im Herzen beginnt und auf eine erneuerte Beziehung zu Gott abzielt. Ist dies heute noch ein zentrales Thema in unserer Kirche? Unsere Landeskirchen bemühen sich in endlosen Sitzungen um Strukturreformen und laufen damit dem Niedergang des Systems „Volkskirche“ hinterher. Alles starrt auf Finanzen und Personalpläne, die Debatten sind von Zahlen bestimmt. Kann es sein, dass uns der Markenkern evangelischen Glaubens abhandengekommen ist? Dass Kirche zunehmend als belanglos und irrelevant empfunden wird, weil sich der Geist zurückgezogen hat? Wie konnten wir nur 2017 das Reformationsjubiläum feiern, ohne unsere eigene Kirche zur Umkehr zu rufen, zur Rückkehr zu ihren Wurzeln? Sind wir immer noch zu selbstsicher?
Geistliches Leben als bloßes Zusatzprogramm?
Wer in der Kirche in ein Amt gewählt wird, wird viele Stunden in Sitzungen und Ausschüssen verbringen müssen. In der Regel beginnen Kirchenvorstand, Pfarrkonvent oder eine Synode mit der Andacht oder einer „Einleitung“. Meistens steht dann die Losung oder ein Bibelwort im Zentrum, manchmal folgt ein kurzes Gebet. Oft genügt den Vortragenden aber auch eine Geschichte, die gerade passend erscheint. Selten habe ich erlebt, dass Gebet zum Tagesordnungspunkt wird. Haben wir keine Zeit für Gott? Interessiert es uns nicht, was er unseren Gemeinden zu sagen hat, wie er sich Kirche heute vorstellt? Oder erwarten wir überhaupt nicht mehr, dass Gott heute konkret redet? Wir gestalten und verwalten Kirche, als brauchten wir Gott nicht. Wir „können“ offenbar Kirche, ohne um die Kraft und Klarheit des Heiligen Geistes zu bitten. Unterliegen wir einer Selbsttäuschung?
Es war Julius Schniewind (1883-1948), Professor in Halle und Mitglied der Bekennenden Kirche in Schlesien, der nach dem Krieg einen leidenschaftlichen Vortrag über „Die geistliche Erneuerung des Pfarrerstandes“ hielt. Das war 1947, zwei Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre vor Gründung der BRD und der DDR. Schniewind stand damals unter dem massiven Eindruck, „welch ein Fluch über unserem ganzen Volk steht“ und fragte die Pfarrer seiner Zeit: „Verstehen wir wohl, dass das Gericht am Hause Gottes, eben an uns anhebt?“ Wenn man seine Worte von damals liest, klingen sie überraschend aktuell: „Es gibt durch ganz Deutschland … Widerstände dagegen, auf den Konventen auch nur ernsthaft theologische Arbeit zu treiben, geschweige dass es zur Gemeinschaft des Gebets käme.“
Ohne Umkehr keine Zukunft
Die Worte der alttestamentlichen Propheten machen deutlich: Ohne Umkehr zu Gott hat Gottes Volk keine Zukunft (vgl. Hosea 6,1; 12,7; 14,2). Dasselbe gilt für die Gemeinde, das Volk des neuen Bundes: Wenn wir Gott einfach voraussetzen, uns aber nicht um die Beziehung zu ihm bemühen, werden wir ihn verlieren. Und wenn Gott selbst nicht wieder zum zentralen Thema wird, wird Kirche in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Gerade hat die Ratsvorsitzende Annette Kurschus ihre Kirche auf der EKD-Synode davor gewarnt, permanent um sich selbst zu kreiseln. Vielleicht bedeutet „Umkehr“ ja etwas ganz Einfaches: Wir stellen nicht länger uns selbst, sondern Gott in den Mittelpunkt. Jesus hat uns jedenfalls mit eindrücklichen Gleichnissen gezeigt, welche Freude aus echter Umkehr folgt (Lukas 15).
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Swen Schönheit | November 2022
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