NEWSLETTER | April 2021

Ein Jahr Corona und viele Fragen

von Swen Schönheit

Vor einem Jahr hat wohl niemand geahnt, dass es so lange dauern würde. Wer schnelle Lösungen erhofft hat, wurde enttäuscht: Die Impfstrategie ist ins Stocken geraten. Die Schnelltests sollten schneller verfügbar sein. Unser Land wirkt wie gelähmt. Zu Ostern soll nun alles still stehen. Das „Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum“ betrifft auch die Gottesdienste. Wird die Osterbotschaft 2021 verstummen? Ein Jahr nach Ausbruch der weltweiten Pandemie scheint es mehr offene Fragen als fertige Antworten zu geben. Sind wir Christen bereit, uns denen zu stellen?

1.     Spüren wir das Seufzen der Schöpfung?

„Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt.“ Und „auch wir erwarten seufzend … die Erlösung“ (Römer 8,22-23 | SLT). Plagen und Pandemien gab es schon immer. Bereits im Alten Testament wird von einer Pest zurzeit Davids berichtet (2 Samuel 24,14-17). Doch noch nie ist der Mensch so tief in den Lebensraum der Tiere eingedrungen, hat die Erde so weitreichend ausgebeutet. Die Gier kennt keine Grenzen. Corona wirkt wie ein Aufseufzen der Schöpfung, ein Überlastungssyndrom der Natur. Corona passt in eine Zeit hinein, in der vor allem eine junge, wache Generation die Endlichkeit der Ressourcen spürt. „Der Immer-Weiter-Schneller-Mehr-Kapitalismus der letzten 30 Jahre muss aufhören“, forderte Entwicklungsminister Gerd Müller im letzten Jahr. Corona betrifft die Menschheit global, dabei führt sie uns die Grenzen der Globalisierung vor Augen. Ursula von der Leyen und führende Vertreter der EU mahnten im Februar 2021, die Covid-10-Krise sei „der größte Test für die globale Solidarität seit Generationen.“

Spüren wir als Christen das „Seufzen“ der Schöpfung? Ökologische Themen und Fragen der Gerechtigkeit standen in der Vergangenheit kaum auf der Agenda bekenntnistreuer Christen. Wenn die Pandemie ein „Weckruf an die Menschheit“ ist (Gerd Müller), sollten vor allem die Glaubenden zu den „Aufgeweckten“ gehören. Als Christen erwarten wir einen neuen Himmel und eine neue Erde, doch uns zuerst gilt der Anspruch Jesu: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wacht!“ (Markus 13,37 | SLT).

2.     Schweigt Gott in dieser Zeit?

„Der Mächtige, Gott der Herr, er redet und ruft die Erde.“ Und „der Himmel verkündigt seine Gerechtigkeit“ (Psalm 50,1.6). Redet Gott in dieser Zeit mit einem Ruf an die gesamte Menschheit? Oder schweigt er und lässt den Dingen ihren Lauf? Wie ist die Tatsache zu werten, dass derzeit kaum Prophetien zu hören sind, die eine derartige Krise überzeugend einordnen? Redet Gott gerade „durch eine fremde Sprache“, weil wir nicht auf seine Weisung hören wollten (vgl. Jesaja 28,10-12)? Oder gelten für diese Zeit die Worte des britischen Schriftstellers C.S. Lewis: „In unseren Schmerzen ruft Gott laut. Sie sind sein Megafon, um eine taube Welt aufzuwecken“? In der Bibel findet sich an vielen Stellen die Aussage, dass Gott uns Menschen die Folgen unseres Handelns tragen lässt. Er vergibt, aber er kann uns die Konsequenzen unserer Sünde nicht ersparen. „Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten.“ Dieses Prinzip wird auch im Neuen Testament bestätigt (Galater 6,7). Bei den Propheten des Alten Testaments wird das Gericht über Israel manchmal so beschrieben, dass Gott sich für eine Zeit zurückzieht: „Ich werde … an meinen Ort zurückkehren, bis sie ihre Schuld erkennen und mein Angesicht suchen werden …“ Dieser Rückzug Gottes ist ein Zuwarten, ob sein Volk den Weg der Umkehr findet. „Kommt, wir wollen wieder umkehren zum HERRN! Er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden“ (Hosea 5,15; 6,1 | SLT). Eins scheint mir klar: Die Viruspandemie ist ein Weckruf an uns Christen, in verstärkter Weise Gottes Gegenwart zu suchen. Gott will reinigen und heilen. Doch dieser Klärungsprozess muss „beim Haus Gottes“ beginnen (1 Petrus 4,17)!

3.     Rechnen wir noch mit Gottes Gericht?

In jedem Gottesdienst sprechen die Anwesenden im Apostolischen Glaubensbekenntnis mit: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Rechnen wir noch damit, dass der auferstandene Christus das letzte Wort über die Menschheit sprechen wird? Margot Käsmann, wusste im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu berichten, sie bekomme überraschend oft die Frage gestellt, ob Corona eine Strafe Gottes sei.“ Doch das Virus sei keine Sintflut wie zurzeit Noahs, meinte die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD (30.11.2020). „Gott bestraft uns nicht dafür, wie wir leben. Er schickt keine Krankheiten und keine Unfälle. Gott schickt keine Pandemie.“ Hatten sich führende Vertreter vor allem der EKD damit vorzeitig verabschiedet aus der geistlichen Auseinandersetzung mit „Corona“?

Die großen Nachrichtenmagazine „Focus“ und „Spiegel“ stellten am Osterwochenende 2020 die entscheidende Frage, „was uns jetzt Zuversicht gibt“ inmitten einer „Plage biblischen Ausmaßes“. Da war auf den Titelseiten von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ bzw. „Tapferkeit“ die Rede, dazu der auferstandene Christus mit Einmalhandschuhen bzw. die „betenden Hände“ von Albrecht Dürer. Wo ist Gott in der Pandemie? Diese Fragen stehen im Raum, auch bei Menschen ohne Bezug zur Kirche.

Doch der Mainstream der Theologie hat den Gedanken an ein mögliches Gericht Gottes ausgeblendet. Vom „Zorn“ Gottes ist, anders als zu Luthers Zeit, keine Rede mehr (obwohl dieses Stichwort im Römerbrief, dem Kronzeugen reformatorischen Denkens, gleich 12-mal auftaucht). Gibt es überhaupt Gnade vorbei am Gericht? Zu Recht lehnen wir das Gottesbild eines jähzornigen alten Mannes ab, der Strafe und Rache im Sinn hat. „Die Strafe lag auf ihm [dem gekreuzigten Jesus], damit wir Frieden hätten“ (Jesaja 53,5 | SLT). Das ist der Kern der frohen Botschaft – natürlich! Dennoch: Ohne Gericht gibt es auch keine Gerechtigkeit (vgl. Psalm 76,8-10; 98,9; Offenbarung 6,17; 11,18). Ein Gott, der unsere Taten in ihren Konsequenzen nicht ernst nimmt, kann der Welt auch keine Rettung bringen. So spricht das Alte Testament mehrfach davon, dass Gott „nach der Blutschuld forscht“ (Ps 9,13.19; 106,38). Menschenleben sind vor Gott nicht egal! Er liebt das Leben, darum gilt Gottes Aufmerksamkeit den Rechtlosen. Wenn Gott richtet, will er aufrichten und zurechtbringen. Gericht ist eine intensive Form der Zuwendung gegenüber denen, die vom Kurs abgewichen sind. „Wir warten auf dich, HERR, auch auf dem Weg deiner Gerichte … Denn wenn deine Gerichte über die Erde gehen, so lernen die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit“ (Jesaja 26,8-10 | Luther 2017).

4.     Warum sind auch Christen nicht verschont?

„Er wird dich retten … vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag verderbt. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen“ (Psalm 91,3-7). Können wir diese Worte auf uns beziehen, gerade in einer Zeit der Virus-Pandemie? Im März 2021 starb John Magufuli, seit 2015 Präsident von Tansania. Im vergangenen Jahr hatte der gläubige Katholik das Corona-Virus noch heruntergespielt: „Corona kann im Leib Christi nicht überleben. Es verbrennt sofort.“ Vermutlich starb Magufuli nicht nur an Herzversagen, sondern an Covid-19. Trotz seines leichtsinnigen Umgangs mit der Pandemie machen seine Worte nachdenklich: „Vielleicht haben wir Gott irgendwie erzürnt. Wir sollten alle Buße tun.“ Wenn sich hierzulande Gemeinden über Hygienevorschriften hinwegsetzen und zum Hotspot werden, macht dies wütend und wirft ein schlechtes Licht auf die fromme Szene.

Nun trifft es die Gläubigen ebenso wie die Ungläubigen. Auch „der Gerechte muss viel Böses erleiden“ (Psalm, 34,20 | SLT). Da bleiben Fragen offen, und die werden vor allem in den Psalmen vor Gott bewegt. Verschärft wird die Spannung noch, wenn Menschen „um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.“ Jesus hat dies seinen Jüngern angekündigt (Matthäus 5,10; 24,9). Den Gerechten und den Glaubenden wird Bedrängnis nicht erspart, aber mitten drin werden sie ein Segen! Hesekiel und Daniel gehörten zu den deportierten Juden, die in Babylon angesiedelt wurden. Doch dort gab Gott ihnen prophetische Einsichten und weitreichenden Einfluss. Paulus wurde als Gefangener nach Rom überstellt und geriet mit allen anderen auf dem Schiff in Lebensgefahr. Doch mitten im Sturm bekam er Weisung von Gott, brach das Brot und strahlte Ermutigung aus (Apg 27,9-37). Wir sitzen im selben Boot, aber Jesus ist bei uns. Ihm müssen letztlich Wind und Wellen gehorchen, denn er spricht das letzte Worte (Matthäus 8,23-27). „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen“, hat Jesus für seine Jünger gebetet (Johannes 17,15 | SLT).

5.     Sind wir bereit Spannungen auszuhalten?

Corona bringt alle an die Grenzen. Die Politik dreht sich im Kreis und kämpft um das Vertrauen der Bevölkerung. Selbst ein ernster Mahner wie Karl Lauterbach muss einräumen, dass es „nicht den einen, von oben verordneten Weg“ zur Überwindung der Pandemie gibt. Neben allen Krankheiten und Todesfällen sind die „Nebenwirkungen“ unabsehbar. Allein im vergangenen Jahr haben 9.000 Pflegekräfte in unserem Land ihren Beruf aufgegeben. Mit dem Virus gehen weitreichende Erschütterungen einher. In solchen Krisensituationen verlangt das menschliche Herz nach schnellen Lösungen. Wir Menschen sind nicht geschaffen für dauerhafte Spannungen. So gibt es typische Reaktionen auf „unfassbare“ Bedrohungen: Man kann sie leugnen. Man kann flüchten und abtauchen. Man kann nach den Schuldigen suchen oder sich selbst die Schuld geben. Man kann bedrohliche Situationen rational erklären oder nach spirituellen Antworten suchen.

Auch bei Christen finden sich solche typischen Reaktionsmuster, meist noch begründet durch die entsprechende Theologie (oder Ideologie). Aggression und Rebellion sind beim bedrohten Menschen oft dicht beieinander und meist nur aufgrund der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur unterschieden. Was wäre, wenn Gott uns diese Zeit der Spannung zumutet? Könnte es sein, dass er eine Drucksituation wie die gegenwärtige gebraucht, um unser aller Herzen zu prüfen? „Du prüfst die Herzen der Menschen und weißt, was in ihnen vorgeht“ (Psalm 7,10 | NGÜ).

Unabhängig von der Virus-Pandemie scheint es eine neue, weltweite Lust auf Abgrenzung zu geben. Die Vorgänge nach vor der Präsidentenwahl in den USA haben die europäischen Partner zutiefst erschüttert. Auch die christliche Szene sah sich enormen Zerreißproben rund um Donald Trump ausgesetzt. Merkwürdig, wie solch eine Persönlichkeit die Gemüter erhitzt und die Geister scheiden kann! Der kostbare Prozess der größeren Einheit im Leib Christ, des bewussten „Miteinanders“ ist auch hierzulande kein Selbstläufer. Wir werden die wachsenden Herausforderungen der Zukunft wohl nur gemeinsam bewältigen können, im Hören aufeinander und in der Bereitschaft zu gegenseitiger Ergänzung. Das Stichwort „Demut“ ist inzwischen auch auf der politischen Bühne zu hören – zu Recht! Christen sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie Spannungen aushalten können und der Versuchung widerstehen, um der „einfachen Lösung“ willen Gräben zu ziehen. Und sie sollten einen wachen Blick entwickeln für mögliche Partner, die ebenfalls „nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten“ (Matthäus 5,6). Gott gibt eine große Verheißung den „Glaubenden“ ebenso wie den „Gerechten“: „Denn der HERR ist gerecht, er liebt Gerechtigkeit; die Aufrichtigen werden sein Angesicht schauen. … Er liebt Gerechtigkeit und Recht; die Erde ist erfüllt von der Güte des HERRN“ (Psalm 11,7; 33,3 | SLT).“

Unabhängig von der Virus-Pandemie scheint es eine neue, weltweite Lust auf Abgrenzung zu geben. Die Vorgänge nach vor der Präsidentenwahl in den USA haben die europäischen Partner zutiefst erschüttert. Auch die christliche Szene sah sich enormen Zerreißproben rund um Donald Trump ausgesetzt. Merkwürdig, wie solch eine Persönlichkeit die Gemüter erhitzt und die Geister scheiden kann! Der kostbare Prozess der größeren Einheit im Leib Christ, des bewussten „Miteinanders“ ist auch hierzulande kein Selbstläufer. Wir werden die wachsenden Herausforderungen der Zukunft wohl nur gemeinsam bewältigen können, im Hören aufeinander und in der Bereitschaft zu gegenseitiger Ergänzung. Das Stichwort „Demut“ ist inzwischen auch auf der politischen Bühne zu hören – zu Recht! Christen sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie Spannungen aushalten können und der Versuchung widerstehen, um der „einfachen Lösung“ willen Gräben zu ziehen. Und sie sollten einen wachen Blick entwickeln für mögliche Partner, die ebenfalls „nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten“ (Matthäus 5,6). Gott gibt eine große Verheißung den „Glaubenden“ ebenso wie den „Gerechten“: „Denn der HERR ist gerecht, er liebt Gerechtigkeit; die Aufrichtigen werden sein Angesicht schauen. … Er liebt Gerechtigkeit und Recht; die Erde ist erfüllt von der Güte des HERRN“ (Psalm 11,7; 33,3 | SLT).“

6.     Haben wir die verfolgte Christenheit im Blick?

Ja, die Diskussion um geöffnete oder verschlossene Kirchen, um Gottesdienst „präsentisch“ oder „digital“ rührt an die Substanz unserer bisherigen Gemeindearbeit. Kirchengemeinden sind nun einmal darauf angelegt, dass die Glocken läuten, die Kirchentür offen steht und man sich im Gottesdienst begegnet. Und in der Tat ist Glaube Gemeinschaftssache, d.h. der „Christusleib“ muss irgendwo auch sichtbar und spürbar werden, Nähe und Wärme vermitteln. Dennoch: Die uns so vertrauten Verhältnisse von Gemeinden mit Grundbesitz, denkmalgeschützten Gebäuden, bezahlten Geistlichen und kirchlichen Kulturangeboten sind im Blick auf die weltweite Christenheit eher der Ausnahmezustand. Im Verlauf einer bewegten Kirchengeschichte gab es immer wieder Gruppen und Bewegungen, die ausgegrenzt und verfolgt wurden, gerade weil sie sich konsequent am Evangelium orientierten. Dass Abendmahlsfeiern heimlich in Konzentrations- und Arbeitslagern stattfanden, gehört nicht nur zu den Geschichten der 1940er Jahre, sondern ist Realität in unseren Tagen. Der Weltverfolgungs-Index von „Open Doors“ listet 50 Länder auf, in denen Christen zurzeit Verfolgung ausgesetzt sind. Etwa 300 Millionen erleben dies rund um den Globus in einem „sehr hohen bis extremen Maß“ – so viele wie noch nie in der Geschichte! Sind wir ihnen durch unsere Lockdown-Erfahrungen innerlich näher gekommen? Beten wir in neuer Solidarität für sie? Oder bedauern wir lediglich uns selbst, weil unser gewohnter kirchlicher Betrieb unterbrochen wurde?

Sollten wir diese Pandemie nicht zum Anlass nehmen, um über alle Reformkonzepte hinaus zu fragen: Wie ist in unserer Zeit „Kirche ohne Gebäude“ möglich? Worauf bauen wir eigentlich für die „Kirche der Zukunft“? Ist es nicht höchste Zeit, unseren Gemeindegliedern zu einem mündigen Glaubensleben zu verhelfen, sodass sich „zwei oder drei“ im Namen Jesu versammeln, unabhängig vom Pfarramt? Sollten wir unsere Gemeinden nicht umwandeln zu einem Netzwerk von lebendigen Beziehungen, sodass Versammlungen überall „in den Häusern“ stattfinden können (Matthäus 18,20; Apostelgeschichte 2,46)?

7.     Ist Kirche nur mit sich selbst beschäftigt?

In der Pandemie wurde von manchen das klare Wort der Kirchen vermisst. Gleich im März 2020 betonten die Bischöfe in einer gemeinsamen, ökumenischen Stellungnahme, dass „Gott ein Freund des Lebens“ sei. Sie riefen zum Gebet auf und betonten, wie wichtig es sei gerade jetzt für die Schwachen einzustehen. „Gott will das Unheil nicht.“ Doch ausgerechnet im letzten Jahr lösten führende Vertreter der EKD eine Diskussion über legalisierte Sterbehilfe aus, nicht zuletzt der Präsident des Diakonischen Werkes, Ulrich Lilie. Werden Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft künftig Zufluchtsorte für die Sterbewilligen? Diese Diskussion inmitten der Pandemie trage „Züge des Irrwitzigen“, meinte der Bochumer Theologieprofessor Günter Thomas. Irgendwie ist die Tonlage aus dem Bereich der EKD widersprüchlich. Der frühere Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Gerhard Wegner formulierte in einem Beitrag in der FAZ die deprimierende Einschätzung: „Das Virus macht endgültig deutlich, wie nutzlos die Kirchen mittlerweile geworden sind. Religiös Hilfreiches zur Bewältigung der Krise war von ihnen nicht zu hören“ (14.01.2021).

Befeuert die Pandemie den Relevanzverlust der Kirchen in unserer Gesellschaft? Ist der Lockdown ein zusätzlicher Todesstoß inmitten sinkender Mitgliederzahlen und schwindendem Gottesdienst-Besuch? Genau diese Angst war vor Weihnachten spürbar, zu Ostern 2021 stellt sich die Lage nicht besser dar. Dabei bleibt die Diskussion offen und eine einfache Antwort gibt es nicht: Manche Gemeinden hielten an Präsenzgottesdiensten fest, um ein Zeichen zu setzen und nah bei den Menschen zu sein. Andere ließen sich vom Gedanken der Solidarität leiten, wie sie in einem Kommentar im Berliner „Tagesspiegel“ eingefordert wurde: „Hätte Jesus gewollt, dass sich zu seinem Geburtstag viele Menschen versammeln und das Risiko eingehen, sich und andere mit dem gefährlichen Virus anzustecken?“ (Malte Lehming, 15.12.2020). „So oder so ist es richtig“, schrieb Bischof Stäblein (EKBO) an die Gemeinden. „Über Weihnachten ist längst entschieden, vor 2000 Jahren. Das hängt nicht an der Frage von Präsenzgottesdiensten. Nicht wir retten Weihnachten, Weihnachten rettet uns“ (18.12.2020).

Die strukturelle Frage muss also offen bleiben. Die inhaltliche Frage aber darf nicht offen bleiben. Als Kirchen haben wir eine unverwechselbare Message, einen „Unique Selling Point“: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ (Lukas 24,34). Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist Sieger über alle Todesmächte, auch über das „neuartige“ Virus. „Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst“ (Jesaja 9,5 | SLT). Diese lebensschaffende Botschaft kann keine andere Institution verbreiten. Man wünschte unseren Kirchen, dass sie weniger Energie verbrauchen mit der strukturellen Frage, dafür aber umso hörbarer werden mit der Botschaft von Jesus, dem Retter der Welt!

8.     Wie wollen wir künftig leben?

Wann auch immer die Pandemie in dieser Form überwunden sein wird, es stellt sich die Frage nach dem „Danach“. Im Sommerinterview 2020 drückte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier so aus: „Wir brauchen den Willen zum Umsteuern“ und es gelte jetzt schon, „eine Brücke über die Krise hinweg zu bauen“ (12.7.2020). Einige zentrale Fragen sind benannt: Wie und wo wollen wir künftig arbeiten? Wie gesund ist unser Gesundheitswesen? Wie kann unser Bildungssystem seine Defizite aufholen? Wie kann Verwaltung optimiert werden? Wie lösen wir die Fragen nach schonendem Umgang mit Ressourcen, sauberer Energie, fairem Handel und transparenten Lieferketten? Wieviel Staat brauchen wir künftig und wo kommt der Föderalismus an seine Grenzen? Die Krise hat schonungslos die Schwachstellen unserer Gesellschaft aufgedeckt. Sie bedeutet auch für viele einzelne Menschen einen „Rütteltest“. Sicherlich werden wir nach der Pandemie viel Heilung brauchen, persönlich und gesellschaftlich.

Man hört immer wieder den Satz, jede Krise sei auch eine Chance. Im Chinesischen wird der Begriff „Krise“ aus den beiden Schriftzeichen für „Gefahr“ und „Gelegenheit“ gebildet. Jede Krise ist beides zugleich und hat immer einen doppelten Ausgang. Doch die Energie zur Erneuerung steckt nicht automatisch in der Krise. Dafür brauchen wir Gottes Gnade. „Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. … Der HERR richtet die Elenden wieder auf“ (Psalm 147,3-5 | SLT).

Ein Jahr Corona und viele Fragen. Gibt es Antworten auf dieses Bündel von komplexen Fragen? Die beste Antwort liegt wohl darin, dass wir uns ihnen ehrlich stellen, sie zulassen und aushalten. Und dass wir mitsamt unseren Fragen das Angesicht Gottes suchen. „Denn du bist die Quelle des Lebens und das Licht, durch das wir leben“ (Psalm 36,10 | NLB).

Swen Schönheit | Ostern 2021

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